Zum Ende der Saison 2015 habe ich den Entschluss gefasst mir für das kommende Jahr ein neues Ziel zu stecken, angespornt durch die tollen Leistung und Erlebnisse anderer Vereinsmitglieder. Auf Grund meiner Trainingsmöglichkeiten war klar dass es weder eine Tortour noch ein Frühjahrsklassiker in Belgien werden konnte doch haben wir in der Schweiz ja selbst genug Tagesrundfahrten welche grosse Herausforderungen darstellen. Und das Alpenbrevet steht mit seiner Geschichte und Tradition quasi als Monument im Schweizer Breitensport da.
Somit war der Entschluss gefasst und kaum gingen die virtuellen Tore zur Anmeldung auf griff ich zu. Die Silbertour mit ihren 132 km und über 3800 hm waren zum Anfang genug, daran würde ich schon genug zu kauen haben. Fortan stellte sich mir die Frage wie ich darauf trainieren sollte. So gelang es mir in der Vorbereitung mehr Pässe zu fahren als je zuvor in meiner Karriere und dies obwohl ich überhaupt nicht zur Kategorie der Bergziegen gehöre. Ganz im Gegenteil liegen meine Stärken eher in den Abfahrten. Doch war weder ein Streckenrekord noch eine hohe Durchschnittsgeschwindigkeit mein Ziel. Vor Augen hatte ich nur die drei Pässe: Grimsel, Furka und Susten! Über die musste ich irgendwie kommen, egal was geschieht.
Im Verlauf der Saison musste ich jedoch feststellen dass für längere Bergfahrten meine Kettenblätter der Grösse 53/ 39 mich nicht ins Ziel bringen würden. Schweren Herzens trennte ich mich knapp drei Wochen vor dem Anlass von meiner geliebten Heldenkurbel und lies mir eine Kompaktvariante mit einem 50er- und 34er-Blatt montieren. Damit sollte ein Tritt gefunden werden welcher mich durchs Alpenmassiv trägt, so meine Hoffnung. Entsprechende Tests verliefen verheissungsvoll.
Freitag, der 26. August war Anreisetag. Ich bestritt das Brevet nicht allein, Patrick und Stefan begleiteten mich wobei beide von den Möglichkeiten her die Strecke eher schneller absolvieren konnten als ich. Mental machte ich mich also auf eine Solofahrt inmitten von rund 3000 Radfahrern bereit. Patrick organisierte eine super Unterkunft und auch gleich noch Frühstück für den Samstag. Stefan und ich mussten uns erst mal durch den Feierabendverkehr nach Meiringen kämpfen. Doch pünktlich zur Pasta-Party traten auch wir auf den Plan und bunkerten Kohlehydrate. Danach ging es ins Bett. Zumindest bei mir war aber nicht an Schlaf zu denken. Etwa 30-mal fuhr ich noch mit einem trockenen Lappen über mein Rennrad, danach wälzte ich mich noch knappe zwei Stunden im Bett und fand keinen Schlaf. Tolle Vorbereitung auf die bis anhin härteste Tour meiner Karriere.
Um fünf Uhr klingelte bei allen der Wecker und wir griffen beim Frühstück nochmals so richtig zu. Bis zur Passhöhe des Grimsel sollte es die letzte Verpflegung sein und das waren dann doch rund 30 km Anstrengung. Meiringen selbst hat sich für den Anlass rausgeputzt, den Start selber haben wir gar nicht mitbekommen, so weit hinten waren wir im Block. Fünf Minuten vergingen ehe wir über die Linie rollten, die Spitze sollte da gemäss Speakerdurchsage schon in Innertkirchen sein.

Zusammen mit Patrick pflügte ich mich durchs Feld über die gesperrte Strasse. Stefan musste unterwegs noch in die Unterkunft abbiegen um sein Telefon und Portemonnaie zu holen. Am Grimsel hatte er dann genug Zeit aufzuholen. Nach Guttannen lies ich Patrick dann ziehen und versuchte möglichst schnell meinen Tritt zu finden was mir auch sehr gut gelang. Noch frisch und bei angenehmen Temperaturen kurbelte ich die Steigung hoch, mental auf die Staumauern vorbereitet. Gelegentlich ein Schwatz mit Leuten aus der Region oder dem überholenden Stefan brachten etwas Abwechslung. Und nach fast zweieinhalb Stunden Fahrzeit war auch ich oben. Der längste Aufstieg war geschafft.
Kurz verpflegt und gedehnt, dann ging es schon hinunter nach Gletsch und hinein in die Furka. Meine beiden Begleiter, welche auf der Passhöhe auf mich warteten, setzten sich wieder ab und fuhren die knapp 10 km in ihrem Tempo hoch. Die Sonne brannte nun auf die Serpentinenstrasse und in den Steilstücken kurz vor dem Hotel Belvedere machten sich die Muskeln in der Kniebeuge bemerkbar. Eine kurze Pause mit einer behelfsmässigen Massage brachte aber Linderung und auch die Furka war alsbald bezwungen. Wiederum warteten meine beiden Vereinskollegen auf mich was mich persönlich aufstellte. Patrick versorgte mich noch kurz mit Salz und Energie und schon konnte es weitergehen.

Nicht nur den Rennradfahrern machte die Hitze zu schaffen, auch das Material litt. Das Wasser in den Flaschen kochte, Energieriegel schmolzen im Trikot und mein Sattel schien immer weicher zu werden, so liess er sich ungewohnt bewegen und verbiegen. Auch seine Töne waren mir bis anhin unbekannt. Sollte ich während der Fahrt etwa zugenommen haben? Egal, die Abfahrt hinunter nach Realp forderte nun die volle Konzentration. Die schmale, eher schlechte Strasse zusammen mit dem Motorrad- und Reisebusverkehr hatte es in sich. Die Bremsen brachten die Felgen zum Glühen und während Stefan und ich in Gedanken bei unseren Liebsten waren und vorsichtig schon mal unsere Erbgüter im Geiste auflisteten machte sich Patrick daran seine Abfahrtskills auszutesten und überholte mal eben noch einen Touristenbus. Unten in der Ebene nach Hospenthal erwischten wir dann zum Glück eine Gruppe welche uns vor dem grössten Gegenwind bewahrte. In Andermatt zählte dann nur noch die Kalorienaufnahme um für das Schlussstück gewappnet zu sein. Neu konnte man in Andermatt sein Abenteuer beenden, das nennt sich dann „Bronzetour“. Somit hatte ich die Wahl: Abbruch und in den Shuttle nach Meiringen oder das eigentliche Ziel im Auge behalten und auch den letzten Pass erklimmen? Nach Rücksprache mit meinen beiden Begleitern, welche beide nicht als grosse Motivationskünstler in die Geschichte eingehen werden, habe ich mich entschieden den ursprünglichen Plan beizubehalten und mich dem Susten zu stellen. Schon ging es die Schöllenen hinunter nach Wassen und am Fusse der Steigung habe ich mich endgültig von Stefan und Patrick verabschiedet. Beiden habe ich versichert dass sie oben nicht mehr warten müssen und sich ins Ziel kämpfen sollen.
Für mich hiess es nun den richtigen Tritt zu finden um der grossen Hitze aber auch der unnachgiebigen Steigung trotzen zu können. Leider gelang mir dies weniger gut als ich mir erhoffte und so wurde jeder Meter zum Kampf. Nach etwa 10 km baute die Organisation eine Wasserstation ein an welcher ich nachtanken konnte und nochmals durchschnaufte. Nun waren es noch circa 8 km bis zur Spitze und damit dem eigentlichen Ziel. Doch die Sonne brannte und der Schweiss lief allen nur so in die Augen. Nach einem weiteren Kilometer musste ich nochmals kurz aus den Pedalen und an einer Steinmauer anhalten da ich nichts mehr sah vor lauter Schweiss.

Was dann geschah sprengte meine schlimmsten Befürchtungen: die Sitzstreben an meinem Sattel waren auf beiden Seiten knapp vor der Klemmung gebrochen! Daher das schwammige Gefühl beim Sitzen. Sofort machte sich Panik in mir breit, ein Kloss im Hals und Druck auf der Brust. Wie soll es nun weitergehen? Kann ich damit weiterfahren? Was wenn es auch hinter der Klemmung bricht? Die Strebe stützte sich durch mein Gewicht an der Bruchstelle ab, doch wie lange das hielt war ungewiss. Ich entschied mich bis zur nächsten Haltestelle des Postautos weiterzufahren, jedoch fühlte sich dies sehr ungemütlich an. Das nächste Postauto wäre erst in 2:30 Stunden gefahren und hätte 90 Minuten gebraucht bis nach Meiringen, also keine Option. Nochmals kämpfte ich mich einige Meter nach oben bis kurz vor die kleine Sustengallerie. Als der Sattel jedoch immer bedrohlicher knackte brach ich den Versuch ab. Lange Minuten stand ich da, beobachtete andere Fahrer und prüfte meine Option. Doch zum Schluss half alles nichts: ich musste die Notfallnummer der Organisation wählen und mitteilen dass ich Hilfe benötigte. Nach 45 Minuten holte mich ein Shuttlebus ab in welchem noch andere „Gestrandete“ sassen und wir fuhren so nach Meiringen zurück. Die Stille im Bus war erdrückend. Allen stand ins Gesicht geschrieben dass sie ihr Ziel nicht erreicht haben. Wäre ich allein im Shuttle gesessen, ich hätte am liebsten losgeheult. So aber sass ich still und in mich versunken da und telefonierte noch kurz mit meinem beiden Mitstreitern welche unterdessen im Ziel ankamen.

In Meiringen angekommen wollte ich nur noch zusammenpacken und nach Hause fahren. Selbst das Duschen liess ich aus, ich hatte die Nase gestrichen voll und verspürte nur noch Enttäuschung. Trotzdem war es eine schöne Erfahrung und eines Tages werde ich einen neuen Anlauf nehmen. Aber kaum schon im nächsten Jahr.
Impressionen und Resultate zum Alpenbrevet auf alpenbrevet.ch
Fotos unter alphafoto.com und in der VMC-Galerie